Die Wanderserie „Flüchtige Formen“ [„Forme sfuggenti“] ist ein künstlerisches Projekt, das den Skulpturen von Erminio Tansini gewidmet ist.
Die Serie sieht die Installation von fotografischen Sets vor und platziert Tansinis Skulpturen an Orten, die normalerweise nicht für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.
Dank ihrer architektonischen und landschaftlichen Eigenschaften sind diese Locations in der Lage, die Skulpturen hervorzuheben und zu transfigurieren.
Die Kamera hat die Aufgabe, das materielle Produkt des Prozesses sichtbar zu machen: es entstehen Bilder, die die visuelle Interaktion zwischen Kunstwerken, Architektur und Landschaften fixieren. Diese Interaktion bleibt auch nach dem Abbau der Foto-Sets sichtbar.
Die Ausstellung wird von Davide, dem Sohn des Künstlers, geleitet.
Im Bereich der Skulptur widmet sich Erminio Tansini seit Mitte der 1990er Jahre dem Informalismus.
Der Künstler kreiert seine Statuen aus Bronze oder Holz (letzteres manchmal kombiniert mit Steinen).
Im Gegensatz zu seinen Bildwerken und Bronzeskulpturen betrachtete Erminio Tansini die Herstellung von Holzstatuen jahrelang als etwas sehr persönliches, ein fast privates Vorgehen und vermied es, sie in Ausstellungen und anderen kulturellen Veranstaltungen zu präsentieren.
Mit einer Komposition von vier Holzarbeiten wurde der Künstler dann eingeladen und nahm an der 57. Biennale in Venedig teil.
Erminio Tansini widmet sich seit Anfang der 1990er Jahre der Holzbildhauerei.
Die meisten der vom Künstler verwendeten Holzmaterialien stammen aus dem nördlichen Apennin (insbesondere Riviera von La Spezia, Trebbiatal, Tarotal; in geringerem Masse Nuretal, Lunigiana und Tidonetal).
Das Holz stammt nicht aus Sägewerken oder Lagerstätten, sondern es ist Treibholz, das an Meeresstränden und in Wildbächen landete. Und mit der Suche und dem Sammeln dieser Einzelstücke beginnt auch der Werdegang der Skulpturen.
Die eingesammelten Holzmaterialien sind in der Regel ausgehöhlt, verwittert, von der Natur geglättet oder gebleicht.
Um diese unnachahmliche Natürlichkeit des Holzes zu respektieren und hervorzuheben, formt Erminio Tansini seine Skulpturen in einer Art und Weise, die die mechanische Bearbeitung der Stücke auf ein Minimum reduziert.
Jede Skulptur wird in der Regel aus zwei oder mehreren Holzelementen zusammengesetzt.
Tansinis Werke haben geschwungene, gezackte oder verworrene Linien; ihre Körper sind entweder leicht oder – ganz im Gegenteil – massiv und imposant; auf jeden Fall sind Spannung und Dynamik immer deutlich spürbar.
Die so erhaltene scheinbar grobe und zufällige Entwicklung von Formen und Gebilden bietet zahlreiche Überlegungen zur Pareidolie (die Fähigkeit, vertraute Formen in scheinbar zufälligen Dingen und Mustern zu erkennen).
Die Erkennbarkeit dieser Silhouetten ist variabel und hängt vom Blickwinkel und der Sensibilität des einzelnen Betrachters ab.
Bei der Wanderserie „Flüchtigen Formen“ werden Tansinis Skulpturen an Orten wie Burgen, Klippen, archäologischen Stätten, an Flussläufen und am Meer, in Waldlichtungen und Felslandschaften aufgestellt.
Die Suche und Auswahl der Standorte erfolgt auf der Grundlage zahlreicher Elemente: Licht, Vegetation, Wasser, Boden, Höhe, Panorama.
Jede einzelne Inszenierung der Serie wird nach den architektonischen und landschaftlichen Elementen des Ortes gestaltet, an dem sie stattfindet.
Das Szenario wird Teil der Bilder, die nicht nur als reine Kulisse dienen, sondern unersetzliche Kernelemente darstellen. Es kommt zur visuellen Interaktion mit den skulpturalen Werken, die bis zur gegenseitigen Verklärung reicht und surreale, traumhafte und fantastische Szenen herbeiführt.
Das Material der Sets ist auf das notwendige Minimum reduziert, um ihre Anpassungsfähigkeit an Situationen zu erleichtern und ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren.
Themen wie Wiederverwendung und Regeneration kennzeichnen in prägnanter Weise sowohl die Skulpturen von Erminio Tansini als auch die Wanderserie „Flüchtige Formen“.
Das fängt an mit dem Material Holz, das für die Schaffung der Skulpturen verwendet wird. Der Bildhauer bezieht das Rohmaterial nicht, indem er lebende Bäume oder noch aufrecht stehende Schäfte fällt, sondern er benutzt Wurzeln, Stämme, Äste und Baumstümpfe.
Holzstücke, die scheinbar nutzlos und unverwendbar sind, die auf natürliche Weise über zahlreiche Wasserwege herbeidriften, vom Meer angeschwemmt werden oder bei einem Erdrutsch von Bergkämmen herunterstürzen. Und oft sammelt sich dieses Holz an schwer zugänglichen Stellen an.
Es ist eine Rückgewinnung von Materialien, aber auch von Szenarien. Strände, Wildbäche und Berghänge werden für die Kunst wiedergewonnen, weil sie zu den ersten Orten der Schöpfung werden: hier wählt der Künstler nach sorgfältigem Erwägen vor Ort die Elemente aus, die für ihn am bedeutendsten sind.
Später erweckt Erminio Tansini die Holzstücke in seinen Werkstätten zu neuem Leben. Er bearbeitet sie, um ihren Verfall zu verlangsamen, setzt sie neu zusammen und verleiht ihnen eine Art neue künstlerische Existenz.
Diese neue Existenz beinhaltet auch die Regeneration ihrer visuellen Wahrnehmung. Durch die Vereinigung der verschiedenen Elemente bestimmt der Künstler sorgfältig die Abfolge von Linien, Massen, Konturen und Helldunkel-Effekten, um Szenen zu schaffen, die in ihrer Veränderlichkeit schwer fassbar sind.
Wie die Orte, von denen das Holz stammt, so befinden sich auch die Locations der Serie „Flüchtiger Formen“ oft ausserhalb des urbanen Kontextes oder sind ohnehin schwer zugänglich. Sie sind daher für traditionelle Veranstaltungen ungeeignet oder kaum nutzbar, doch die fotografischen Sets der Serie verlagern die Standorte in den künstlerischen Raum.
Die Regeneration beeinflusst auch die Wahrnehmung des Raumes. Die bei jeder Installation aufgenommenen Fotos eröffnen einen anderen Blickwinkel auf die architektonischen und landschaftlichen Elemente, die die Umgebung ausmachen: in den Aufnahmen wird alles bis zur Verklärung dimensional und perspektivisch neu interpretiert.
Bis Februar 2020 war die Wanderserie “Flüchtige Formen„ an 53 Stationen mit ebensovielen Standorten in Italien, in der Schweiz, in Frankreich und in Monaco zu sehen.
Zu den Orten, an denen die fotografischen Sets installiert wurden, gehören der Stadtpark Ciani in Lugano, die Bucklige Brücke [Ponte Gobbo] in Bobbio (Piacenza), das Schloss Sforza [Castello Sforzesco] in Mailand, die Burg von Brescia, Kap Mesco zwischen Levanto und Monterosso al Mare (La Spezia), die Brücke am Po in Cremona, der Strand von Carnolès [Plage de Carnolès] in Roquebrune-Cap-Martin (Alpes-Maritimes), der in Riomaggiore (La Spezia), die Burg Doria in Porto Venere (La Spezia), die Gedeckte Brücke [Ponte Coperto] in Pavia, der Monte Brugiana in Massa, die Burg Sankt Georg [Castello di San Giorgio] in La Spezia, die Brücke von Lodi, der Fürstenpalast [Palais Princier] in Monaco, die Burg [Rocca] in Manerba del Garda (Brescia), die Pontonbrücke [Ponte delle Barche] in Bereguardo (Pavia), die Burg in Torrechiara (Langhirano, Parma), die in Canossa (Reggio nell’Emilia) und in Tabiano Terme (Salsomaggiore Terme, Parma), der Strand der Teufelshöhle [Spiaggia della Grotta del Diavolo] in Vernazza (La Spezia), die Schrägseilbrücke [Ponte Strallato] in Piacenza, die Burg Brown in Portofino (Genua).
Die Fotos, die an den Sets von „Flüchtigen Formen“ aufgenommen wurden, waren seit Juli 2018 in einigen Ausstellungen der Serien „Chimären“ [„Chimere“] und „Formen, Materie, Farbe“ [„Forme, materia, colore“] zu sehen, die beide dem künstlerischen Schaffen von Erminio Tansini gewidmet sind.
Die Serie „Chimären“, die speziell für die Präsentation der Fotos von „Flüchtigen Formen“ für ein breites Publikum geschaffen wurde, fand bisher an drei Standorten statt: Wege der Eindrücke [Percorsi d’impressioni] (Vernazza, Burg Doria, Juli-August 2018), Unerwartete Wahrnehmungen [Percezioni inattese] (
„Formen, Materie, Farbe“ offenbart die ganze Vielfalt von Tansinis künstlerischem Schaffen (Malerei, Skulptur und Fotografie). Aus dieser Serie stammen auch die Fotografien von „Flüchtigen Formen“, die in der Ausstellung Luftspiegelungen [Miraggi] (Levanto, Rathaus, August 2019) zu sehen waren.
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© „In arce“. Alle Rechte vorbehalten – Veröffentlicht am 27. Februar 2020 – Aktualisiert am 4. April 2020